Reflexionen 2010



Dem vermeintlichen Gegensatz Freiarbeit – Wochenplan (s. Reflexionen 2006) ist bei aller Widersprüchlichkeit eines gemein: Beide Arbeitsweisen schaffen für das Kind Zieltransparenz und Kontinuität über die Stunde, über den Tag hinaus. Außerdem handeln die Kinder bei beiden Verfahren in relativer (Lehrer-) Unabhängigkeit, die bei steigender Verweildauer in der Klasse zunimmt.

Die Kinder kommen in die Schule, betreten die Klasse in geregelter Weise (im Winter, bei Nässe und Schneematsch, werden die Schuhe auf den Schrubbtüchern vor der dem Klassenraum ausgezogen) und sie wissen, was sie zu tun haben. Vor dem Frühstück muss eine Aufgabe des Wochenplanes bearbeitet – und u.U. fertig gestellt – worden sein. Der Tag beginnt mit Arbeit, vergleichbar der Situation eines Handwerkers, der morgens seine Werkstatt betritt, die Arbeit des Vortages fortsetzt und sich nicht die Sinnfrage stellen muss: „Was soll ich hier eigentlich?“ Die Kinder treten in ein Handlungskontinuum ein.
Dieses Handlungskontinuum hat natürlich Unterbrechungen in Gestalt von (Bewegungs-) Pausen, Gesprächsrunden, Dialogen, Projekten, an denen alle arbeiten.


Diese für die Kinder akzeptierte und transparente Arbeitsroutine, ein auf Dauer angelegtes Handlungskontinuum, korrespondiert mit einer Eigenschaft von Kindern, die Maria Montessori den „absorbierenden Geist“ bezeichnet. Er ist Ausdruck dessen, dass Kinder nicht nicht lernen können. Eindrücke der Umgebung müssen aufgenommen, verarbeitet werden, so wie man selbst als Erwachsener einem Gespräch, dessen Zeuge – u.U. auch unfreiwillig - man wird, nicht nicht zuhören kann. Hier herrscht unmittelbarer Vollzugszwang.








Nun lernen Kinder, insbesondere in den ersten Lebensjahren, nicht nur wünschenswertes. Neben motorischen und intellektuellen Fähigkeiten lernen Kinder z.B. auch Konfliktmuster der Eltern, was sicherlich kein explizites Erziehungsziel der jeweiligen Eltern war/ist.
Der absorbierende Geist korrespondiert mit dem Wunsch von Kindern, alles das können zu wollen, was sie noch nicht können, andere aber.
Jedes Kind will laufen können. Jedes Kind will sprechen können. Jedes Kind will alleine essen können, sich anziehen können, die Tür aufschließen können, Roller fahren können, Fahrrad fahren können, lesen können, Auto fahren können, alleine leben können.

Wahrscheinlich hat keine Mutter und kein Vater dieser Welt seinem Kind gezeigt, wie die Fernbedienung des Plasmabildschirms funktioniert. Dennoch gibt es wahrscheinlich im Leben einer jeden Familie irgendwann den Moment, in dem das Kind Sonntag morgens schon alleine vor dem Fernseher sitzt.

Natürlich gibt es Ausnahmen, „Deviationen“, in der Sprache Montessoris. Bei diesen Kindern waren die Wachstums- und Entwicklungsbedingungen „suboptimal“. Sie haben verhindert, dass sich das Kind gemäß seinem inneren Bauplan entwickeln konnte.
Die „Normalisierung“ im Sinne Montessoris misslang.

Als Lehrer – oder vielleicht auch als Vater – wünscht man sich manchmal Kinder anders. Die Dicken sollten ein bisschen dünner sein, die Dünnen könnten ruhig etwas zunehmen, die Leisen hätte man gerne etwas lauter, die Langsamen hätte man gerne etwas schneller, die Spontanen hätte man gerne etwas überlegter.
Aber wir können uns in der Erziehung die Kinder zu keinem Zeitpunkt formen. Wir haben keine Zugriff auf ihre Festplatte, können sie weder formatieren, noch neue Programme installieren.
So funktioniert Erziehung nicht.
Das Zentrum des Kindes, sein Wesen, sein Innerstes, die Festplatte ist im Verständnis Maria Montessoris heilig. Wir haben darauf keine Zugriff und wir wollen darauf keinen Zugriff haben.
„Die kindliche Psyche ist ein Geheimnis, das man nicht antasten darf, weil es uns nicht gehört.“
Deshalb findet Erziehung nicht im/am Zentrum des Kindes statt, sondern an der „Peripherie“.
„Nur durch die Peripherie, die Sinne und die Bewegung, wird das Individuum mit der Außenwelt in Verbindung gebracht. Das Individuum nimmt durch die Sinne auf und handelt. Das ist die Peripherie. Sie ist für uns erreichbar, weil wir sie sehen, weil wir sehen, wie das Kind seine Wahl trifft, und wie es sich mit seiner Aktivität zur Außenwelt hin ausdrückt. Dieses sehen wir, und darauf bauen wir auf. Wir richten unser Augenmerk mehr auf die Peripherie als auf das Zentrum, denn wir sind überzeugt, und haben aus der Erfahrung gelernt, dass diese Äußerungen an der Peripherie die kindliche Art des Handelns sind. Das wachsende und seinen Geist bildende Kind fügt alles zu einem Ganzen zusammen“. (Montessori, Blätter der internationalen Montessori-Gesellschaft, Deutschen Ausgabe, Stuttgart 1932, Erstes Heft, S. 37 – 42)
Was – wo – ist die Peripherie des Kindes vormittags in der Mokiklasse der Grundschule Am Mirker Bach?
Die Peripherie ist spürbar und berührbar im Miteinander, in den Formen der Kommunikation, die durch die Regeln der Klasse vorgeschrieben wird, in der Wahl des Kindes zu k/einer Aktivität, im Handeln des Kindes in der Klasse und in der Reaktion auf dieses Handeln. Damit Kinder in dieser Situation handeln, brauchen sie das Gefühl, anerkanntes Mitglied der Klasse zu sein und gemäß ihrem Sosein handeln zu dürfen, solange sie sich innerhalb des vorgeschriebenen Verhaltenskodex bewegen. Dann dürfen sie auch mal nicht verstehen, keine Lust haben oder ganz viel auf einmal verstehen wollen. Erziehung in der Schule ist das Schaffen von Wachstumsbedingungen und Bewegungsmöglichkeiten im körperlichen, wie auch im geistigen Sinne.
Schulische Erziehung in diesem Sinne fragt zunächst nicht: Wer bist du? Woher kommst du? Was kannst du? Was kannst du nicht? Warum bist du so? Wie mache ich dich?
Schulische Erziehung sagt zu jedem Kind, das kommt: Wir machen das hier so: Das sind unsere Regeln, sie gelten für alle, immer und du bist hier willkommen, so, wie du bist. Ich, dein Lehrer, garantiere, dass das so ist und bleibt.


Erziehung in diesem Sinne bietet an, gestaltet Erfahrungsräume und regelt Kommunikation und ist dabei in dem Sinne streng, dass die Kommunikationsregeln für alle und für immer gelten. (Gerade die Verlässlichkeit der Verhaltens- und Kommunikationsregeln in der Klasse, gepaart mit der unausgesprochenen Maxime, dass jeder so sein darf, wie er ist, unter der Maßgabe der Regeltreue, ist besonders für nicht „normalisierte Kinder“ wohltuend).
Erziehung ist keine Psychoanalyse.

Erst wenn das Kind diese gesicherte Umgebung erfahren und verinnerlicht hat, findet die - landauf landab geforderte - Individualisierung des Lernens statt. Sie findet in einem privaten Dialog zwischen Lehrer und Kind statt und sie mündet in privaten Vereinbarungen zwischen Kind und Lehrer. Diese Vereinbarungen beziehen sich sowohl auf Inhaltliches, wie auf Formales. Hier werden (Lern-) Ziele und (Lern-) Wege aufgezeigt.







Weihnachtsfeier

Die Weihnachtsfeier und die Vorbereitungen dazu ist ein Projekt, das im Laufe der letzten Jahre entstanden ist und am Ostersbaum inzwischen schon fast eventcharakter hat. Obwohl viele Elternhäuser konfessionslos sind, war bei Elternabfragen der Wunsch nach einer gemeinsamen Weihnachtsfeier in der Klasse, auch in der Funktion einer Jahresabschlussfeier, überraschend groß. In der Konsequenz beginnen die Vorbereitungen hierzu spätestens Ende November. Es werden Weihnachtsgeschenke für die Eltern gebastelt, z.T. klassische Laubsägearbeiten, es werden Gedichte, Lieder, Theatervorführungen geprobt und gelernt. Die Feier selbst sprengt eigentlich die räumlichen Bedingungen der Schule, da inzwischen pro Kind der Klasse im Durchschnitt 3 Begleitpersonen kommen, sodass eine Teilnehmerzahl von 80 Personen im Klassenraum erreicht wird. Durch die hohe Bereitschaft der Eltern, dieser Feier durch Einkaufs-, catering-, Aufräum- und Putzdienste zum Erfolg zu verhelfen, war es bisher immer möglich, alle Beteiligten auch kulinarisch zu verwöhnen.
In Anlehnung an die Lichterwege im Stadtteil Ostersbaum ist am Tage der Weihnachtsfeier auch die zur Klasse führende Feuertreppe festlich mit farbigen Teelichtgläsern beleuchtet.

Künstlerische Begleitung

Die bildende Künstlerin Diemut Schilling hat viele Jahre unsere Schule im Rahmen von MUSE-Projekten künstlerisch begleitet. Die Gestalt der Schule und das Handeln der Kinder wurden von ihr deutlich geprägt. Von 2007 bis 2009 war Frau Schilling auch in der Mokiklasse aktiv. Ein großes Projekt hat sich mit der Gestaltung des Schulhofes beschäftigt, ein anderes war eine künstlerische Auseinadersetzung mit einem Teil der Matthäuspassion, in der die Kinder sich bildnerisch und darstellerisch mit elementaren Themen der Matthäuspassion auseinander setzten. In diesem Kontext ist der Film „Arie 42“ entstanden.
Im Jahre 2009 hat Frau Ruth Amarante, Tänzerin des Wuppertaler Tanztheaters, die künstlerische Rolle von Frau Schilling in unserer Klasse übernommen. Eines ihrer ersten Projekte war die Inszenierung eines Weihnachtstanztheaters, das auf der Weihnachtsfeier 2009 präsentiert wurde.